Das
Schattenbachtal,
die
Silberzinne und ihre Umgebung
Einstimmung
Obwohl viele den „kleinen Hobbit“ und einige den
„Herrn der Ringe“ von J.R.R.Tolkien gelesen haben, ist die Zahl der wirklich
kundigen Verehrer seiner Werke gering*. Zu hoch ist der Anpruch an die
Vorstellungskraft und das Gedächtnis, nicht nur die vordergründigen
Besonderheiten der Mythologie mit Bildern zu verbinden, sondern auch deren
linguistische und historische Tiefen auszuleuchten. Immerhin existiert eine
große, weltweite Fangemeinde. Von ihr wurde schon ungeheuer viel
zusammengetragen, was die Geschichten ergänzt, bebildert oder zu interpretieren
versucht und sie damit - mehr oder weniger Tolkiens Art folgend - aufarbeitet.
Über dieses „mehr oder weniger“ kann ausgiebig gestritten werden; die einen
finden Gefallen an frei dazu phantasierten Episoden und Darstellungen, die
anderen nehmen den Anspruch auf sich, die Werke nur im Sinne ihres Schöpfers
auszulegen. Obwohl dies natürlich insofern ein vager Maßstab ist, als Tolkien
selbst dazu nicht mehr befragt werden kann, ist hier letzteres versucht worden.
Ein winziger Teil der Erzählung des „Herr der Ringe“ wurde verwandt, um ein
ausführlicheres Bild eben dieses Teils zu zeichnen – wenn auch hinsichtlich
weniger, ausgewählter Aspekte. Jenes Wissen, das Tolkien hierüber in seinen
Schriften preisgab, wurde zusammengetragen und in eine Darstellung einbezogen,
die selbst große Lücken mit Plausibilität füllt. Tolkien selbst hätte wohl
solch ausführliche, auf Logik bedachte Erklärungen anderswo als im Bereich der
Sprache nicht für notwendig befunden. Jetzt derartiges zusammenzustellen kann
für Puristen unter den Fans deshalb bestenfalls unsinnig erscheinen. Dennoch
bleibt zu hoffen, dass der eine oder andere Gefallen daran findet.
*auch der Autor dieser Zeilen möchte nicht
„wirklich kundig“ für sich in Anspruch nehmen, sich aber um große
Ernsthaftigkeit bemühen.
Dies ist ein Ausschnitt der großen Karte des
Nebelgebirges (südlicher Teil), wie sie in Bruchtal aufbewahrt wurde. Er zeigt die
Umgebung der Silberzinne in genauer Darstellung mit Höhenlinien, den
wichtigsten Flussläufen und Pfaden.
Dicht beieinander stehen die hohen Gipfel von
Silberzinne, Rothorn und Wolkenkopf. Von den Zwergen werden sie Zirak-zigil,
Barazinbar und Bundushatur genannt, die Elben sagen Celebdil, Caradhras und
Fanuidhol dazu. Zwischen dem Rothorn und der Silberzinne verläuft der Weg von
Hulsten zum Schattenbachtal über den Rothornpass und danach den
Schattenbachsteig hinunter, der sich steil durch die Schluchten an vielen
Wasserfällen vorbei ins Tal zieht. Man gelangt so direkt an das spitz
auslaufende Nordende des Spiegelsees, den die Zwerge Keled-zaram nennen.
Südlich des Rothornpasses und unter der Silberzinne liegt Moria, die
Zwergenbinge (oder Khazad-dum) mit einem westlichen Tor in einem Taleinschnitt
an der Westseite der Silberzinne und einem östlichen Tor unter den hohen
Felswänden der anderen Seite. Das westliche Tor diente dem Handel der Zwerge
mit Hulsten (Eregion) und war eine echte Zwergentür: unsichtbar und nur durch
Losungswort zu öffnen. Das Westtor sowie der einst aus dem Berggipfel der
Silberzinne herausgearbeitete Turm (Durins Turm) wurden in den großen Jahren
zerstört. Vom Osttor (einst mit gewaltigen Torflügeln verschlossen) blickt man
auf ein abschüssiges Plateau hinaus, über das die Reste der alten Zwergenstraße
zum Spiegelsee hinunterführen. Ruinen längs ihres Verlaufs erinnern an die
Zeit, als der Handel mit Moria blühte und die Arbeit der Zwerge weithin
geschätzt wurde. Unten am See steht eine einzelne Säule, Durins Stein, wo Durin
I zum erstenmal in den Spiegelsee geblickt haben soll. In diesem seltsamen,
dunklen Wasser spiegelt sich auch heute noch die glitzernde Pracht des
Sternhimmels deutlicher wieder als alles andere. Die Bäche, die vom
Schattenbachsteig und den Wasserfällen hinten im Tal kommen, münden in den See.
Dessen Überlauf fließt zum Fluss Silberlauf (Celebrant), der seine Quelle
unterhalb des Plateaus auf der westlichen Talseite hat. Andere als die eben
beschriebenen Bereiche des Gebirges im Kartenausschnitt sind unwegsam und nie
von anderen Wesen als Bäumen besiedelt gewesen.
Im südlichen Bereich des Nebelgebirges trifft man
durchweg auf die Gesteine, die sich im Jurameer abgelagert hatten, bevor die
Auffaltung der Gebirge dort begann. Dieser Jurakalk ist stark geschichtet, wenn
man von Einsprengseln wie kleineren Korallenstöcken absieht. Als im Norden des
heutigen Nebelgebirges die lange ruhenden Vulkane in großer Zahl ausbrachen,
spaltete sich die Landmasse von Nord nach Süd – was hiervon Ursache, was Folge
war, ist heute unbekannt. Die tieferliegenden, spröden Urgesteine bildeten
Klüfte von ungeheurer Tiefe, wurden von den sich aneinander reibenden
Landmassen zerrissen und verformt. Neue Vulkanschlote bahnten sich ihren Weg
nach oben und versiegten wieder, als die Verformung fortschritt. Allerdings
bewegten sich die beiden Seiten des Bruchs nicht voneinander weg: das spätere
Eriador driftete vielmehr leicht südlich und übte großen Druck in Richtung
Osten aus. Bei alledem wurde die mächtige Deckschicht aus Kalkablagerungen des
längst ausgetrockneten Meeres aber nicht gänzlich zerrissen: sie war
elastischer als das Urgestein. An vielen Stellen ist sie zwar von den
Bewegungen im Untergrund aufgefaltet, aber nicht durcheinander geworfen. Einzig
die später herausgewitterten, härteren Vulkanschlote aus Basalt bilden auch in
diesen Bereichen markante, einzelne Berge und verraten den Kampf der Gesteine
im Untergrund (wahrscheinlich ist Orthanc aus derartigem monolithischen
Basalt herausgearbeitet worden). Die Hauptkette des Nebelgebirges wird
allerdings von Bergen gekrönt, die im Zentrum der Bewegung lagen, weshalb dort
die Kalkschichten teilweise bis zu 15 Meilen lange Risse haben. Wegen der
scherenden Bewegung der Landmassen verlaufen diese Brüche mit guter
Regelmäßigkeit von Nordost nach Südwest. Die einzelnen Streifen wurden in
Querrichtung gequetscht und dabei schuppenähnlich aufgekantet, wobei sich an
den Bruchlinien die Gesteinsschichten um teilweise mehr als 1000 Klafter
gegeneinander vertikal verschoben. Nachfolgende Querbrüche der Streifen und die
langsame, aber stetige Erosion haben aus diesen schräggestellten Schichten mächtige
Berggipfel und tiefe Täler und Schluchten herausgearbeitet, wie wir sie heute
im Nebelgebirge antreffen.
Der Bereich um Silberzinne, Rothorn und
Wolkenkopf ist von zwei großen Bruchzonen durchzogen. Das Rothorn und der
nördliche Ausläufer des Wolkenkopfes entstanden in der Auffaltung der Bereiche
nordwestlich des ersten Bruches, die Silberzinne und der Wolkenkopf dagegen aus
der Verkantung der zwischen den Brüchen liegenden Gesteinsplatte. Bemerkenswert
ist, dass sich quer zu dieser Platte das Schattenbachtal eingraben konnte, das
Silberzinne und Wolkenkopf trennt und einen südöstlichen Ausläufer des Gebirges
abgrenzt. Deshalb liegt in diesem Bereich zwar eine Gruppe sehr hoher Gipfel,
aber zugleich der niedrigste Pass über diesen Teil des Nebelgebirges: der
Rothornpass. Man gelangt von Westen, der ersten Bruchzone unterhalb der steilen
Südwand des Rothorns folgend bis zu einem Sattel zwischen Rothorn und
Silberzinne und steigt dann ab in das tief eingeschnittene Schattenbachtal.
Quer über den Rothornpass verläuft die große
Hauptwasserscheide zwischen der Grauflut und dem Großen Strom, jedenfalls was
das Oberflächenwasser anbelangt. Unterirdisch ist der Lauf des Wassers viel
undurchsichtiger und auch widersprüchlicher. Lange vor dem endgültigen Aufreißen
der Bruchzonen waren die Kalkgesteine zur Hochebene angehoben worden. Nur karge
Vegetation überzog die Schotterflächen, denn alles Wasser suchte sich sofort
einen Weg in die feinen Ritzen und Spalten, die die Schichten des Jura
durchzogen. Im Lauf der Jahre formten die Wasserläufe, sich immer tiefer
eingrabend, ein verästeltes System von Schächten und Stollen (den Karst). Sie
folgten der Schichtung des Gesteins und dessen natürlichen Rissen. Riesige
Hohlräume entstanden durch mächtige Höhlenbäche und fielen wieder trocken,
sobald das Wasser sich eine Schicht tiefer durch den Stein nagte. Am Rand der
Hochebene lagen in kleinen Erosionstälern aus den Höhlen gespeiste
Karstquellen. Teilweise verschwand das Karstwasser aber auch in den noch tiefer
liegenden Klüften im Urgestein und drang bis zu den heißen, vulkanischen
Bereichen vor.
Als schließlich die Brüche entstanden und die
(durchlöcherten) Schichten verkippt wurden, ging die Höhlenbildung weiter.
Jedoch veränderte sich die Wasserführung grundlegend: Karstwasser floss nur
noch in jeder verkippten Platte bis zur Bruchzone, sammelte sich dort und floss
je nach Gefälle entweder nach Südwest oder nach Nordost, was es in den tiefsten
Stockwerken bis heute tut. Ganz unvermittelt taucht es in abseits liegenden
Quellen, die im Verlauf der Jahre oft ihre Lage ändern, wieder auf.
Die Silberzinne ist besonders stark von
Karsthöhlen durchzogen, das Gangsystem wurde an ihrer Südostseite stark
angehoben. Von der Felswand dieser Seite beginnen unzählige große und kleine
Gangsysteme, die sich mit starkem Gefälle bis nach Nordwesten ziehen. Die
oberen (und größeren) Eingänge blieben oberhalb der Schutthalden offen
zugänglich, bis die Zwerge daraus das Osttor von Moria bauten. Dicht hinter dem Osttor reichen
vertikale Schächte durch alle Juraschichten bis hinunter zu einer jener
unergründbaren Spalten im Urgestein, die einst den Bruch der Juraschichten an
der Südostseite der Silberzinne verursacht hatten. Alles Karstwasser aus der
nicht ganz so stark schrägstehenden Schicht südöstlich der Silberzinne läuft
auf diese zu und staut sich vor der Bruchzone etwa 500 Klafter unter den Toren
von Moria. Einst speiste es eine Karstquelle im Bereich des heutigen Spiegelsees,
als jedoch ein Bergsturz von der Flanke der Silberzinne das Schattenbachtal
teilweise auffüllte und die breite Schuttterasse vor dem Osttor hinterließ,
änderte sich die Situation: der Spiegelsee entstand im oberen Schattenbachtal
hinter der Schutthalde. Teilweise steht er in großer Tiefe mit dem Karstwasser
in Verbindung, ein Teil dieses Wassers suchte sich jedoch einen neuen Weg.
Unter Umgehung des Bergsturzes tritt es heute in der Quelle des Silberlaufs
zutage. Zudem münden, fast unbemerkt, zahlreiche kleine Quellen aus der
untersten Karstebene etwa eine Meile unterhalb des Spiegelsees direkt in das
Bett des Silberlaufs, dessen Wasser aufgrund seiner Herkunft eiskalt und klar
ist.
Die Höhlen in der Silberzinne ziehen sich nach
Nordwesten immer tiefer hinunter. Sogar die obersten Stockwerke des
Karstsystems sind hier zum Teil unter dem Niveau des Wassers, das in diese
Richtung abfließt. Die Zwerge konnten deshalb die natürlichen Höhlen auf der
Westseite nur bedingt verwenden, das Westtor wurde knapp über dem
Karstwasserspiegel in die Felswand gebaut und mit künstlichen Gängen zum
Inneren hin verbunden. Innerhalb Morias gehen zahlreiche Brunnen aus den
natürlichen und von Zwergen gegrabenen Stollen in die Tiefe bis zum Wasser. Aus
dem Karstwasser im Bereich von Moria wurde der Torbach des Westtores gespeist,
der seine Quelle etwas unterhalb des Tores hatte. Er querte zunächst ein
breites, trockenes Becken, das von hohen Felskanten berandet war, bevor er über
eine Stufe talwärts floss. Da das Becken aus einem teilweisen Versturz der
darunterliegenden Hohlräume entstanden und mit diesen durch Klüfte noch
verbunden war, versickerte ein Teil des Baches zeitweise sofort wieder im
Untergrund. Weil der Ausgang der Senke später teilweise verschlossen wurde,
stieg aber (lange nachdem Moria verlassen wurde) der Karstwasserspiegel
insgesamt an und flutete die Senke bis knapp unter das Westtor – in dieser Höhe
muss das Wasser an anderer Stelle einen Abfluss haben, da kaum Wasser in das
alte Tal des Torbachs läuft.
Das Ziel der Minen von Moria waren die
erzhaltigen Bereiche unter dem Kalkstein. An der Grenze zwischen Urgestein und
Sediment fand sich manches Erz, das für die Zwerge von Wert war. Insbesondere
Wahrsilber konnte hier gefunden werden, wenn besonders tief gegraben wurde. Die
Minen reichten hierfür – und das ist die hier einmalige Voraussetzung – von
unter der Silberzinne kommend in Richtung unter das Rothorn, dessen Schichten
wegen der Verkippung tausend Klafter höher lagen. Die Gänge aus dem Jura der
Silberzinne gingen direkt über in die erzhaltigen Schichten in der Nähe des
Urgesteins im Rothorn. Allerdings musste hier unter dem Karstwasserspiegel
gearbeitet werden, weshalb die Zwerge mit trickreichen Vorrichtungen das
Nachströmen von Wasser verhindern mussten. Ob die Minen heute noch Erz liefern
könnten, ist unklar, da gerade dieser Teil inzwischen überflutet ist.
Texte, Grafiken: Matthias Burger 2002
Kontakt: leonore.petruch@nanduhirion.de